
KWA Luise-Kiesselbach-Haus
Podcastreihe "Ich bin da" von Julia Gruber
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Kolumne

Unterhaching, 03. September 2025
Ich sah einen Mann am Strand, und er half mir, den richtigen Pfad durchs Leben klarer zu erkennen. Der Mann trug eine knallenge, bunte Mini-Badehose. Kettchen, glänzende Armbanduhr, alles da. Der Mann hatte nicht die Figur eines Profi-Schwimmers, er war ihr sichtbar entwachsen, auch qua Alter: Anfang 80 wird er gewesen sein. Trotzdem bewies er tadellose Haltung. Die Schultern gerade, der Schritt kraftvoll, aber souverän untertourig, der Bauch eingezogen, die Brust gespannt. Der Mann war zufrieden mit sich, das konnte man sehen. Sein Blick fiel auf Damen in Bikinis, und die Muskeln wurden noch etwas mehr geflext, der Bauch wurde noch flacher geatmet und der Gang weicher, rollender. Ich hätte denken können: Wieder einer dieser eitlen Gecken, die ihr Ablaufdatum nicht wahrhaben wollen. Ich aber schaute dem Mann zu. Er scannte sorgfältig und lächelte ob dessen, was er sah. Dann führte er seine Patrouille fort, nah am Wasser, wo der Sand fest ist. Und wo man bestimmt auftreten kann, statt hilflos in Kuhlen zu staksen. Und ich verstand: Hier wandelte ein Weiser.
Sein Vorbild leuchtete mir zur rechten Zeit. Die 60 nähern sich. Die Sache mit dem Waschbrettbauch hat sich wohl erledigt. Aus dem Rücken sprießen silbergraue Haare. Aber das ist nichts, was ich mit einem Gefühl von Alter verbinde oder schwindender Lebenszeit. Beklommen macht mich, wie viele Leute sich erschütternd früh selbst veraltern – und die anderen am liebsten gleich mit, damit sie sich nicht so allein fühlen. Das beginnt oft mit Sätzen wie „Man kann ja nicht mehr ... “. Man kann ja nicht mehr die Nacht über auf einem Gipfel den Sonnenaufgang erwarten, nicht mehr dieses kesse Kleid anziehen, nicht mehr das Hemd so weit offen lassen über der Brust. So nehmen sie sich weit vor ihrer Zeit die innere und äußere Bewegung. Wie viel Freude kann in derart mutlos Selbstgebremstem sein, und wie viel Freude können sie an andere weitergeben? Es ist leicht, meinen Weisen vom Meeressaum als peinlich abzutun. Aber es ist doch schön, und es verschönert, wenn ein Mensch an sich glaubt. Sollen andere über den Strand schleichen; er hält sich aufrecht, er hat den Swing, und er bringt ihn unter die Leute.
Mit dem Strandläufer vor Augen kam mir mein Opa in den Sinn. Sein Leben lang ging er unbeirrbar davon aus, alle Welt nicke ihm fortwährend anerkennend zu. Zu Recht, fand er. Bis zuletzt achtete er peinlichst auf seine Garderobe. Nie verließ er sein Haus ohne wenigstens ein Seidentuch um den Hals, am Wochenende nur mit Krawatte. Die Putzfrau, die Einkaufshilfe, die Bäckerin, seine Tennis-Partnerin: Bis zuletzt, beinahe 100 Jahre alt, glaubte er, sie alle beteten ihn an, seinen Körper genauso wie seinen Esprit. Derart beflügelt, gab er noch mehr Gas beim Charmieren. Lernte italienische, ungarische, türkische Sätze, um mit Weltgewandtheit zu punkten.
Damals habe ich es nicht gesehen, aber heute erkenne ich, wie viel jünger, wie beinahe alterslos ihn dieses Spiel machte. Er fuhr weiter einmal in der Woche in seinem weißen Tennisanzug mit der Bundfaltenhose aus den Vierzigerjahren, den Pullover über den Schultern, in seinen alten Club und gockelte über den Platz. Heute glaube ich fest, er wurde auch wegen dieses unerschütterlichen Selbstbildes so gesund so alt. Das gibt ja Kraft und Gemütsruhe, sich selbst für so einen unwiderstehlichen Menschen zu halten. Opa hatte genau wie mein Strandmann begriffen, dass man im Leben vor einer Wahl steht: Hamster oder Hahn? Will man mit kleinen Schrittchen bis zum Ende trippeln? Oder stolz ausschreiten und der Welt unermüdlich mit lauter Stimme zurufen: „Hier stehe ich, die Zeitläufte können mir nichts, denn ich allein verkünde, wann der nächste Morgen naht!“ Ob Mann, ob Frau also, macht es wie Opa: Werft euch in die Brust, plustert euch auf, putzt euer Gefieder! Geht aufrecht, und kräht mit fester Stimme, wie zerzaust euer Kamm auch sein mag und wie klein euer Hof!
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